In den Köpfen der breiten Bevölkerung wird Sexualität immer mit Jugendlichkeit, Virilität verbunden. Allenfalls aus der Erwachsenenfilmindustrie weiß man vielleicht, dass es unter Bergriffen wie etwa Milf, Cougar und Mature auch viele Angebote gibt, die sich zumindest bei weiblichen Darstellerinnen auch eindeutig eines etwas höheren Alters bis ca. 50 Jahre gehen, zum Teil auch etwas älter. Doch Breiten-Sexualität jenseits des Renteneintrittsalters wird meist totgeschwiegen. Lustvolle Senioren? Allerdings! Nicht minder genussvoll und nicht weniger aufregend als bei den Jüngeren, nur unter anderen Voraussetzungen.
Die Jugendlichkeit mag gehen, der Spaß aber bleibt
Warum betreibt der Mensch als eines der ganz wenigen Säugetiere Sex auch außerhalb von Paarungszeiten? Ganz einfach, weil es Spaß macht.
Zudem ist Sex gut für die Zweisamkeit, baut Stress ab, bringt die Hormone und sogar das Kreislaufsystem in Schwung, – tatsächlich ist es ein regelrechter Gesundheits-Quell. Das alles kennt keine unsichtbaren Grenzen, die durch das Alter vorgegeben würden. Natürlich, wo sehr junge Menschen rein von der Lust her, zumindest theoretisch täglich Sex haben könnten und es dank körperlicher Fähigkeiten auch praktisch können, sinkt die Lust im Alter etwas ab.
„Geilheits-Schübe“, wie man sie aus Teenager- und Twen-Jahren kennt, darf man in diesem Alter natürlich nicht mehr erwarten. Aber zu denken, dass Lust ebenso verlorengeht wie die Farbe der Haare. Tatsächlich fand eine Studie Anfang der 2000er Folgendes zur Sexualität im Alter heraus:
• Unter den 50- bis 60-Jährigen sind in Beziehungen lebende Männer noch zu 90 Prozent sexuell aktiv, bei den Frauen sind es 86 Prozent.
• Unter den Ü80-Jährigen sind in Beziehungen lebende Männer noch zu 30 Prozent sexuell aktiv, bei den Frauen sind es 25 Prozent.
Und damit ist nur echte Aktivität mit dem Partner gemeint. Hinzu kommt Masturbation, lustvolle Phantasien… Ja, Senioren sind auch hierbei nicht weniger modern als eine jüngere Generation.
Für die Wissenschaft gilt hier die Faustregel, dass die Alters-Sexualität umso stärker ausgeprägt ist, je aktiver eine einzelne Person über ihr gesamtes bisheriges Leben war. Wer auch in jüngeren Jahren nicht viel Sex hatte, dem wird es auch im Alter nicht nach mehr gelüsten. Umgekehrt wird jedoch jemand, für den Sexualität immer eine gewichtige Rolle spielte, dies als Senior nicht maßgeblich ablegen.
Dabei muss man aber auch Abstriche machen – denn obwohl der Geist buchstäblich willig sein mag, ist es der Körper oft nicht.
Anderer Sex, breiterer Sex
Was ist Sex? In der Vorstellung der meisten ist es der „vollendete Akt“: Penis penetriert Vagina, beide haben mindestens einen Orgasmus. Allerdings muss man bei Sexualität im Alter den Begriff Sex breiter auslegen.
• Geschlechterübergreifend greift eine mehr oder weniger starke Reduktion der körperlichen Leistungsfähigkeit: Die Gelenke schmerzen, der gesamte skelettalmuskuläre Bewegungsapparat verliert an Geschmeidigkeit, die körperliche Ausdauer ist nicht mehr so hoch. Das schränkt beispielsweise die Vielfalt potenzieller Stellungen ein. Hinzu kommt eine oftmals reduzierte Stimuierbarkeit erogener Zonen. Dies resultiert aus einer altersbedingt verlangsamten Signalübertragung. Oftmals kommen auch Schamgefühle durch den Verlust des körperlichen Äußeren hinzu – weniger straffe Haut, hängende Brüste, Schamlippen und Hodensäcke etwa. Auch die reduzierte Produktion von Östrogen und Testosteron bzw. andere Niveaus im Körper tragen dazu bei.
• Bei Frauen haben die Wechseljahre dazu geführt, dass die Vagina weitaus länger braucht, um feucht zu werden. Vorspiel wird deshalb nochmals wichtiger, um mangelnden Spaß durch vaginale Trockenheit und daraus resultierende Schmerzen zu verhindern. Ferner leidet auch der Vaginalbereich unter dem Schwund von Muskelmasse und -leistungsfähigkeit im Alter. Nicht selten kommt auch eine verringerte Kontrollierbarkeit der Harnblase hinzu, was für weitere Schamgefühle sorgt.
• Bei Männern ist es vor allem eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Reduktion der erektilen Leistungsfähigkeit: Der Penis braucht länger und mehr Stimulation, um erigiert zu werden; dennoch wird er nicht mehr so hart wie gewohnt. Auch hier kann die Harnblase Schamprobleme auslösen. Ferner dauert die Regenerationsphase zwischen zwei Orgasmen länger; kann statt Minuten oder Stunden durchaus Tage betragen.
Was deshalb beim Sex im Alter verstärkt zu beobachten ist: Es wird sich mehr Zeit genommen. Das Zweisame rückt in den Vordergrund, der eigentliche Akt tritt in den Hintergrund. Sex kommt seltener vor, wird aber als nicht minder lustvoll beschrieben. Neuerdings nutzen auch immer mehr Senioren die technischen Möglichkeiten durch Hilfsmittel, seien es Gleitgels oder auch Sexspielzeuge.
Diese werden in Partnerschaften gerne gegenseitig eingesetzt, wenn echter Sex altersbedingt (mitunter auch nur zeitweilig) nicht möglich ist – vielleicht schon deshalb, weil beiden die Gelenke zu sehr schmerzen, um selbst die ansonsten sehr empfehlenswerte Löffelstellung durchzuführen. Was in diesen Fällen auch beliebt ist, ist das schlicht gegenseitige oder auch nur gemeinsame Masturbieren – diverse Studien kamen bereits zu dem Ergebnis, dass Selbstbefriedigung selbst für diejenigen Senioren eine große Rolle spielt, die in einer ansonsten harmonischen Beziehung sind, aber aus unterschiedlichen Gründen keinen regulären Sex mehr praktizieren können.
Ein Klick macht es möglich
Lust kennt keine Altersgrenze – und heutige Senioren sind ebenfalls immer häufiger im Netz aktiv. So verwundert es sicherlich nicht, dass jüngste Studien auch mit Überraschung feststellen, dass auch die Ü50er äußerst aktiv die Möglichkeiten der Internetpornografie nutzen.
Interessant dabei ist, dass die Präferenzen sich ändern, aber auch gleichbleiben: Tendenziell schauen viele Senioren Pornos, in denen ebenso ältere Darsteller Sex haben. Auch beliebt ist die Darsteller-Kombination Alt-Jung, egal zu welchem Geschlecht die jeweilige Person gehört. Was jedoch gleich bleibt, sind die generellen Präferenzen bezüglich der dargestellten sexuellen Spielweisen. Und: Vergleichsweise selten werden Pornos mit ausschließlich jungen Darstellern konsumiert.
Forscher vermuten dahinter eine Art Ich-Projektion: Wenn auf dem Bildschirm Menschen „pornografischen Sex“ haben, die im gleichen hohen Alter wie die Zuschauer sind, können letztere sich besser in die Situation hineinversetzen als wenn dort 20-Somethings kopulieren. Allerdings hat zumindest die etablierte Hochglanz-Porno-Industrie das Thema noch nicht aufgegriffen, sodass die meisten Medien auf Amateur- oder geringerem Profiniveau liegen – was jedoch schon aufgrund demografischer Realitäten nicht mehr lange haltbar sein dürfte, sodass zu erwarten ist, dass auch die großen Studios sich des Trends nicht mehr lange verschließen können.
Fazit
Sex ist absolut kein Thema der ersten Lebenshälfte. Senioren haben nicht weniger Lust und auch nicht weniger Spaß an allen sexuellen Spielarten. Das einzige, was sich ändert, ist das, was der Körper durch Alterungsprozesse vorgibt oder verändert. Und das ist, wenn man sich anpassen kann und etwaige Schamgefühle überwindet, in der Praxis kein Hindernis für eine erfüllte Sexualität im Alter.
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